50 Zeilen ….. „Gedanken zu Volksabstimmungen“ (4.7.2016)

Liebe Rundbrief- Leserinnen und -Leser,

ich meld‘ mich mal wieder mit ein paar Gedanken zu Volksabstimmungen:

Vor knapp 5 Jahren gab’s den Volksentscheid zu Stuttgart21. Zwei sich uneinige Koalitionspartner versuchten, ein heiß diskutiertes Thema zu klären. Auf Landesebene konnte es dabei nur um dessen finanziellen Zuschuss gehen. Folglich ging es im „Wahlkampf“ weitgehend um die Kosten. Die Befürworter versprachen, der „Deckel“ von rund 4,5 Mrd.€ sei sicher und gewannen klar. Die erhoffte Beruhigung trat ein, aber um einen hohen Preis. Heute liegen wir bei ca. 6,5 Mrd.€ Kosten, Tendenz steigend und das zu einem Zeitpunkt, wo die „Kellerdecke noch nicht mal drauf ist“, um den Vergleich mit einem Wohnhausneubau zu ziehen.  Ob diese Abstimmung heute nochmal so ausgehen würde, ist doch sehr fraglich, zumal nach wie vor mit K21 ein sehr detailliertes Alternativkonzept existiert.

Im Frühjahr 2013 initiierten manche Gemeinden im Nordschwarzwald eine Volksbefragung zum geplanten Nationalpark, während andere Gemeinden der Landesregierung ausdrücklich Ihre Waldflächen anboten. Das Ergebnis war ein klares Nein. Trotzdem war durch ein „Schwarz-gelbes“ Gesetz klar, dass Nationalparke nur durch Landtag oder Landesweite Volksabstimmung eingeführt werden kann. Auch deshalb setzte Grün- Rot das Projekt durch, was uns die Betroffenen bis heute vorwerfen, während landesweit zu allen Zeiten eine klare Mehrheit das Projekt unterstützt. Wie viele andere wird der Nationalpark Schwarzwald über kurz oder lang trotz heftiger Startphase kaum mehr wegzudenken sein, insbesondere auch aus touristischer Sicht.

Ziemlich genau vor einem Jahr das große Referendum in Griechenland um pro und contra zur Spar- und Reformpolitik. Das Ergebnis war klar, das große Nein (OXI), von Ministerpräsident Tsipras intensiv gefordert, hatte eine klare Mehrheit. Dass eben dieser Regierungschef bis heute fest im Sattel sitzt, ist eigentlich ein kleines Wunder. Denn umgesetzt hat er genau das Gegenteil. Sein umstrittener Finanzminister trat zurück und Tsipras ging auf weitgehendere Reformen ein, als je zuvor.

Und nun der BREXIT:   52% sind knapp, aber dennoch eindeutig. Kurioserweise taucht der vollmundige Kopf der Bewegung, Boris Johnson, für mehrere Tage unter, anstatt zu feiern und das Geschehen in die Hand zu nehmen. Alles erschrickt, Premier Cameron verzögert den Vollzug des Abstimmungsergebnisses und Millionen von Briten  –  vor allem die junge Generation  – unterzeichnen verzweifelte Petitionen für irgendeinen „Ausweg aus dem Austritt“. Warum:  weil die Briten vielleicht mehrheitlich spüren, dass Reflexhafte Stimmungen eben doch etwas anderes sind als der Versuch, unser Gemeinwesen langfristig in geordneten Bahnen zu steuern. Es würde mich nicht wundern, wenn am Ende auch dieser Mehrheitsbeschluss nicht umgesetzt wird, aus purer Vernunft. Das BREXIT- Referendum ist auch ein gutes Beispiel, dass Volksabstimmungen nicht selten taktisch missbraucht werden. Es war schließlich Premier Cameron, der sie herbeigeredet hat, um danach weitere Zugeständnisse der EU auszuhandeln, mit denen er sich dann als EU- Befürworter positionieren konnte.

Bei diesem Rückblick befällt mich Skepsis gegenüber der oft bedingungslos geforderten Öffnung für mehr Volksentscheide. Vielleicht hatten die Mütter und Väter des Grundgesetzes doch gute Gründe, die Hürden hoch anzusetzen und das Prinzip der parlamentarischen Demokratie in den Vordergrund zu stellen, nämlich die Wahl von Volksvertretern auf Zeit, die in geordneten Prozessen Entscheidungen treffen. Diese Skepsis stützt sich auch auf Erlebnisse bei Bürgerversammlungen der vergangenen Jahre, etwa bei der Hermann-Hesse-Bahn oder zur Krankenhaus- Frage.

Es wird keine einfache Lösung geben, denn der direkte Volkswille ist ja auch ein hohes Gut. Zumindest aber Regelungen für eine transparentere Darstellung der Abstimmungsgrundlage müssten geschaffen werden. Die „Politik des Gehörtwerdens“ möchte ich damit aber nicht infrage stellen. Frühzeitige Information und Beteiligung der Bürgerschaft  – wie auch immer  –  sind unabdingbar, um in Zeiten sehr komplizierter Prozesse Akzeptanz zu schaffen. Dass es da auf Seiten der Politik noch Verbesserungspotenzial gibt, will ich nicht bestreiten. Aber manches spricht dafür, am Ende der Diskussionen in den gewählten Gremien zu entscheiden.

Soweit für heute,

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